Beschlagene Scheibe in Eisblau und Rosa

Sumpf und Dunst

Zu beleidigt für Selbstoptimierung

Manchmal frage ich mich, ob nicht eine viel zu schwungvoll betriebene Selbstoptimierung auch komplett unoptimierte oder unoptimierbare Nebenprodukte hervorbringt. Jedes Ding hat doch zwei Seiten. Wenn zuviel herum optimiert wird, müssten doch auf irgendeiner dunklen Rückseite jede Menge No-Gos wachsen. All das, was nicht zu dem selbstoptimierten Menschen passt.

Damit sich die No-Gos nicht unkontrolliert im Hintergrund auftürmen, braucht es eine ausgleichende Gegenbewegung, die sich ihrer annimmt. Während andere sich weiter optimieren, de-optimiere ich mich jetzt schon mal, pessimiere ich mich, um das Gleichgewicht wieder herzustellen und mal ein bisschen den Druck rauszunehmen.

Auf der Hitliste der No-Gos steht sicherlich Beleidigt-sein irgendwo ganz oben.

Das kommt als solide, unoptimierte Grundhaltung absolut in Frage. So wie die Korsen bei Asterix, die selbst Komplimente noch als Beleidigungen auffassen. Wobei ich es wichtig finde, aus eigener Kraft beleidigt zu sein und niemandem die Schuld dafür zu geben, also nicht so wie bei den Politikern.

Die Sprache pessimiert sich hier schon automatisch mit: Das Wort „beleidigt“ geht nämlich gar nicht, jedenfalls nicht bei optimiertem Sprachgebrauch. Darin steckt schließlich das Leid und mit dem be vorne dran wird es gleich noch extra-pappig. „Finger davon!“ schreit die Selbstoptimierung. „Selber“, rufe ich zurück.

Der beleidigte Wellensittich

Als Kinder hatten wir mal einen Wellensittich, den haben wir in einer Pappschachtel vom Tiergeschäft nach Hause getragen und unterwegs fallen gelassen. Der grüne Vogel hat sich nicht mehr bewegt. Die Augen geschlossen, machte er sich stocksteif und streckte seine Beinchen weit von sich. Also sind wir zum Tierarzt gerannt, der tastete den Vogel ab und sagte: „Nein, dem gehts gut, der ist nur beleidigt.“

Wenn mich ein Tierarzt abtasten würde, würde er auch schnell feststellen, dass ich beleidigt bin.

Wellensittiche sind lustig und unterschätzt. Einer hat mal einem Freund von mir zielsicher in die Wange gehackt, exakt an den Punkt, wo sich drei Tage zuvor eine schmerzende Eiterbeule unter der Haut gebildet hatte. Ich selber hatte auch mal einen Wellensittich, der nie beleidigt war und immer versucht hat, auf meinem Geigenbogen zu landen, wenn ich geübt habe. Eine schöne Symbiose.

Schwarzweiß-Fotografie von einem interessiert blickenden Wellensittich
Kluger Wellensittich sitzt lieber auf dem Käfig drauf als im Käfig drin.

Praktisch am Beleidigt-sein ist auch, dass mich niemand beleidigen kann – ich bin es ja schon.

Zuerst dachte ich, es gibt bestimmt so eine Art Schieberegler zwischen mehr oder weniger beleidigt-sein. Aber das stimmt nicht, es ist eher so wie ein Gefäß mit ganz viel Dunst. Darin ist alles gleich. Das mag ich gern.

„Aber“ ist auch eins der verbotenen Wörter, es trennt und schneidet ab, was so schön zusammengehören könnte. Genau wie „leider, erst und nur“ hat es die suboptimale Angewohnheit, negative Gedanken-Schleifen im Kopf zu erzeugen. Da heften sich sofort die Gefühle dran und bilden Cluster. Dann wird das alles zu schwer und der Mensch wird spiralförmig immer tiefer in einen Sumpf hineingezogen.

Spiralen können sich auch in die andere Richtung drehen, wobei es bergab halt immer leichter geht als bergauf. Außerdem fühlen sich manche Menschen im Sumpf sicher genauso wohl, wie ich mich im Dunst. Von daher: Alles tutti.

Scribble in giftgruen von müde guclender Frau mit roten und blauen Kotzebroeckchen

Tiere und (fehlende) Farben im Winter in Berlin

In diesem Moment freue ich mich trotz starken Beleidigt-seins schon auf die Titelbildsuche mit den Überschriften Sumpf und Dunst. Abgesehen davon, dass sich der Winter in Berlin gut zum Beleidigt-sein eignet, kommt er mir in diesem Punkt sehr entgegen. Außerdem passen die Krabat-Krähen so gut zu den kahlen, schwarzen Bäumen.

Vor meinem Fenster sitzt eine Krähe und plustert sich auf. Als wäre sie nicht schon von Hause aus groß genug.

Eine andere hat sich neulich im Park von einem Mops jagen lassen. Statt zu fliegen, ist sie vor ihm weggehüpft. Nach drei Sprüngen hat sie auf ihn gewartet, um ihn zu provozieren. Hat geklappt. Krähenverhalten habe ich einmal studiert, als ich in einem Café saß. Da war ich so dermaßen beleidigt, dass gar nichts anderes ging.

Die Suche nach dem Bild zu den Begriffen Sumpf und Dunst ist inzwischen abgeschlossen. Sie ist zugunsten des Dunstes ausgefallen, der in diesem Fall sogar freundliches, lichtes Rosa enthält.

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