Der Eis-Geist lässt es richtig krachen

Abenteuer Influenza

Fünf Tage mit dem Eis-Geist

Den leichten Husten am Morgen ignorierte ich geübt. Mittags wurde mir vom Staubsaugen so ungewöhnlich schwindelig, dass ich um ein Haar das Bewusstsein verloren hätte. Da das nicht die übliche Reaktion auf Staubsaugen ist und mittlerweile winzigste Luftveränderungen heftige Schmerzattacken in Muskeln und Knochen hervorriefen, robbte ich unverzüglich ins Nebenzimmer und begab mich unter sieben dicke Decken. Dort blieb ich für die nächsten fünf Tage.

Zu sagen, „ich habe eine Grippe“, klingt unzulässig harmlos gemessen daran, was in Wirklichkeit geschieht.

„Influenza, hinein fließen“, das kommt der Wahrheit schon näher, wobei auch hier ein oder zwei ehrliche Hinweise darauf fehlen, was überhaupt fließt und von wo nach wo. Kurzum, das ist alles nicht anschaulich genug und wird dem eigentlichen Phänomen vorne und hinten nicht gerecht.

Fröstelnd unter den sieben Decken, unberührt vom Schein der Rotlichtlampe spürte ich deutlich, dass all die Worte Schall und Rauch sind und dass es sich in Wahrheit um den Besuch eines ernstzunehmenden Eis-Geistes handelt. Um so einen von denen, die auf dem eisigen Wind von Ort zu Ort reisen und urplötzlich zugreifen. Die ihren frostigen Atem in eine unbekannte Schicht irgendwo zwischen Bewusstsein und Körper pusten und ihn dann gefrieren lassen.

Von jetzt auf gleich fühlt es sich so an, als würden die äußeren Hautschichten mit einem Spargelschäler entfernt … und blieben dann so.

Die Klaue des Eis-Geistes verkrallt sich tief im Brustkorb und drückt Herz und Lunge zusammen. Tagelang. In der freien Hand hält er Myriaden von unterkühlten Fäden, die bis in das äußerste Ende jedes einzelnen Nervenfädchens reichen.

Er zerrt und rüttelt nicht an den Fäden, wie der Wind am Rollo. Nein, er bewegt sie nur ganz, ganz sachte, dafür aber permanent. So jagt er schmerzende Frost-Hitze-Kälte-Wellen in die Knochen, in die Sehnen, in die Muskeln, in die abgeschälte Haut – überall hin und lässt alles noch stundenlang nachvibrieren.

So ist das!

Geist, ja – böse, nein

In schlimmen Infekten Persönlichkeiten zu sehen, ist oldschool. Der moderne Mensch weiß, dass es sich um Viren handelt. Dafür, dass er nicht mehr an böse Geister glaubt, sagt er allerdings ganz schön vielen Krankheiten den Kampf an. Als wären es eben doch Dämonen. Denn Kampf, dazu braucht es ja schon einen Partner auf Augenhöhe. Viren sind dafür aber zu klein, sie haben außerdem nicht mal Augen, auch keine dunklen Kapuzen, keine Würgehände, gar nichts.

Ich mache es lieber umgekehrt, ich gehe gleich von einem Eis-Geist aus. Da er Schmerzen hervorruft und sogar tödlich sein kann, läge es durchaus nahe, ihm eine böse Absicht zu unterstellen. Tue ich aber nicht. Warum? Weil er trotzdem anders war … eher neutral, wie der Atem eben. – Gut, das Titelbild spricht eine andere Sprache! Es sieht natürlich auch einem gewissen Nachtkönig mit sehr hohem Bekanntheitsgrad ähnlich.

Der ist tatsächlich dämonisch, der will wirklich nur eins: Abräumen.

Und im Gegensatz zum Eis-Geist geht er nicht von allein wieder weg. Das war nämlich auch schon wieder so Eis-Geist-typisch, dieses plötzliche Verschwinden. In der Nacht zu Tag fünf bin ich aufgewacht, habe die weichen, wolligen Äußerster-Notfall-Bett-Socken an den Füßen gespürt und gedacht, „oh, ganz schön warme Füße“.

Warm!

Den Begriff hatte ich trotz dicker Decken und 100 Litern heißem Tee schon aus meinem Wortschatz gestrichen. In den fünf Tagen mit dem Eis-Geist hätte ich lediglich Auskunft darüber geben können, dass sich dicke Socken an den schmerzenden Füßen befinden und dass das weitaus besser ist, als wenn keine Socken daran wären.

Das ist ein schöner Beweis für die Existenz des Eis-Geistes, alle Symptome sind noch dieselben, aber dieser gefrorene Atem ist weg. Der Körper ist auf einmal wieder da und sagt einfach so „Hallo“.

Der Schüttelfrost und die gröbsten Höllenkopfschmerzen klangen daraufhin so schnell ab, als hätte ich nur mal eben einen Drehregler betätigt. Ein paar normale und blöde Erkältungssymptome blieben noch, die brauchen halt so lange wie Erkältungen eben brauchen. Tschüss Eis-Geist!

Der Paketdienst meldet mir soeben, dass die bestellten Quittenkerne zwischen 11:11 und 12:11 Uhr bei mir eintreffen werden.

Diese Zeitangabe finde ich originell! Sie erinnert mich daran, dass ich einmal per SMS ein Treffen für 19:38 Uhr anberaumt habe. Ich hatte aus Versehen Acht statt Null geschrieben und wusste nichts davon. Als ich mich für meine leichte Verspätung entschuldigen wollte, meldete mir mein Gegenüber zur Begrüßung bewundernd zurück, dass ich ja exakt auf die Minute pünktlich wäre, wie angekündigt.

Wieso Quittenkerne? Ach so, das sollen klasse Hustenbonbons sein, allerdings bis jetzt noch nicht von mir getestet, es ist noch nicht 11:11 Uhr. Vielleicht brauche ich sie auch gar nicht mehr. Spring is coming.

2 comments On Abenteuer Influenza

  • Ja, ja, ja, genauso ist es, sehr toll geschrieben! Mit dem einzigen Unterschied, dass es bei mir _nie_ besser werden wird, heul! Liebe Grüße, Antje, vom Eis-Geist geküsst

    • Danke Antje! Huiiii, für immer, das ist dann vielleicht ein Cousin des Eis-Geistes oder so. Eigentlich müsste auch der spätestens Samstag verschwunden sein. Die Quittenkerne helfen gut – allerdings auch erst Post-Eis-Geistem. Bei mir ist es toll, ich kann inzwischen schon wieder mit nassen Haaren am offenen Fenster stehen.

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