freies, glueckliches Schwein erschreckt Analytikerin

Das glückliche Schwein

Auf einer Party saß ich einmal dicht gequetscht neben einer angehenden Psycho-Analytikerin. Unser Gespräch war eigenartig, weil sie mich nie ansah, sondern immer starr geradeaus schaute. Da ich zu der Zeit ein Buch von einer Frau gelesen hatte, die auf einem Berg in Österreich wohnte, teilte ich dem Profil der Analytikerin meine Gedanken darüber mit.

Die Berg-Frau hatte einen eigenen Wald, riesige Gärten und viele verschiedene Tiere, darunter auch ein Schwein. Es lebte ungewöhnlich frei und konnte selbst entscheiden, was es tun und lassen wollte. Vor allem in Vollmond-Nächten genoss es seine besondere Freiheit. Wie so viele Menschen, konnte auch das Schwein bei Vollmond nicht schlafen. Statt dessen tollte es lieber durch den Wald, stöberte wild herum und wühlte Eicheln auf.

Meine Geschichte war fertig. Gespannt wartete ich auf die Reaktion der Analytikerin.

„Neurotisch“, presste sie zwischen schmalen Lippen hervor.

Ach! Bei mir war es genau umgekehrt. Ich dachte, von einem gesünderen Schwein hatte ich eigentlich noch nie gehört. Wobei ich der Fairness halber sagen muss, dass ich so gut wie keine anderen Schweine kenne.

Glücklicherweise haben nicht alle Menschen mit einem ähnlichen beruflichen Hintergrund den Mund zugenäht, noch gucken sie starr geradeaus. Es gibt auch ganz andere, wie zum Beispiel meine Kollegin Wiebke. In der Zeit, als wir zusammen an der Uni waren, fuhr sie eines Abends mit Freunden zum Kino. Auf dem Weg dorthin gerieten sie in eine Polizeikontrolle.

Es lag ein gewisser Zeitdruck vor, denn der Film hatte bereits begonnen. Außerdem war das Auto stark reparaturbedürftig und der Auspuff nur lose mit einem Kleiderbügel befestigt. Vielleicht hatte die Polizei das auch schon am Geräusch erkannt. Meine Freunde mussten jedenfalls aussteigen und der ganze Wagen wurde auf den Kopf gestellt. Zuletzt kroch einer der Beamten darunter. Er leuchtete mit einer Taschenlampe … und fand die Bügelkonstruktion.

Natürlich hagelte es Knöllchen. Wiebke war stocksauer und hielt den Polizisten eine wütende Rede. Am Ende ihres Ausbruchs wandte sie sich der einzigen Polizistin zu und sagte: „Und dass Sie als Frau da mitmachen, das ist das Allerletzte.“

Bang!

Die Polizistin riet ihr, schnell ins Auto zu steigen und wegzufahren, bevor sie noch eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung bekäme. Schwein gehabt.

Wiebke ist nicht Analytikerin, sondern Verhaltenstherapeutin geworden. Ich frage mich trotzdem, wie sie die Sache mit dem Schwein einschätzen würde. Ich kann ihr die Geschichte allerdings nicht einfach so auftischen. Sie würde sofort spüren, dass es mir um etwas anderes geht (= ihre Reaktion). Deswegen würde sie nervös kichern und mich schließlich fragen, warum ich ihr die Story erzähle. Ich müsste auspacken und von der Party berichten. Und dann würden wir beide einen Lachkrampf kriegen. Wie immer.

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